Warum Nähe mehr wirkt als Perfektion
Wenn Menschen über das Präsentieren sprechen, geht es oft um Inhalte, Struktur und Körpersprache. Was aber kaum jemand offen ausspricht: Die größte Angst ist nicht das Reden an sich. Die größte Angst ist, sich zu zeigen. Nicht wenige Teilnehmer meiner Präsentationstrainings berichten nach wenigen Minuten:
„Ich habe Angst, dass man merkt, dass ich gar nicht so kompetent bin.“
Oder:
„Was, wenn ich einen Blackout habe und alle sehen, dass ich unsicher bin?“
Diese Angst ist tief menschlich. Und sie ist nicht nur okay – sie ist wichtig.
Wir alle kennen sie: die aalglatten Redner, die alles richtig machen, perfekt vorbereitet sind, professionell durchgetaktet. Und trotzdem erreichen sie uns nicht. Warum? Weil Perfektion selten Nähe zulässt.
Perfektion schafft Aggression!
Perfektion signalisiert Kontrolle – aber keine Verbindung. Der Zuhörer denkt: „Wow, gut gemacht.“ – aber nicht: „Das fühle ich mich angesprochen.“ Echtes Präsentieren aber beginnt genau dort, wo wir unsere Schutzmauer senken – nicht dramatisch, nicht inszeniert, sondern leise und aufrichtig.
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Eine Rednerin betritt die Bühne, beginnt zu sprechen – und das Mikrofon versagt. Oder sie sucht nach einem Wort, findet es nicht sofort. Vielleicht lacht sie kurz, atmet, sammelt sich – und fährt fort. Was passiert im Publikum? Mitgefühl. Verständnis. Und oft sogar Bewunderung für die Ruhe im Umgang mit der Situation. Wir empfinden sie als menschlich. Wir erleben ihre Kompetenz nicht trotz, sondern durch ihren Umgang mit dem Unperfekten.
In der Psychologie spricht man davon, dass Menschen mit hoher emotionaler Intelligenz eine Sache besonders gut können: Sie zeigen sich als Ganzes – mit Kraft und mit Brüchigkeit. Brené Brown, die amerikanische Wissenschaftlerin und Bestsellerautorin, hat über Verletzlichkeit geforscht. Ihre zentrale These:
„Verletzlichkeit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern der Ursprung von Mut, Kreativität und Veränderung.“
Wer sich auf der Bühne verletzlich zeigt – im Sinne von: „Ich bin nicht perfekt, aber ich bin ganz da.“ – wird als besonders glaubwürdig und authentisch wahrgenommen.
Das Publikum liebt nicht die Souveränen – sondern die Nahbaren. Und wer sich menschlich zeigt, wird menschlich gehört.
In den Köpfen vieler Redner kreist das Gedankenkarussell: „Was, wenn ich etwas Falsches sage?“, „Was, wenn ich unsicher wirke?“, „Was, wenn sie denken, ich habe keine Ahnung?“.
Aber die Realität ist oft ganz anders:
Die wahre Frage ist nicht: „Werde ich perfekt wirken?“ Sondern: „Wird spürbar, dass menschlich bin?“
Verletzlichkeit ist kein Risiko. Sie ist ein Geschenk. Nicht nur für die Zuhörer – sondern auch für Sie selbst. Denn wer aufhört, sich zu verstecken, beginnt, wirklich zu sprechen. Und wer wirklich spricht, wird nicht nur verstanden – sondern verstanden gefühlt.
Ihre Monika Matschnig
Expertin für Körpersprache, Wirkung und Performance
Bild: ekapanova / istockphoto.com