Wenn Selbstfürsorge zur Mauer wird
Einst sagte mir ein guter Freund mit fester Stimme:
„Ich achte nur noch darauf, dass andere Menschen mir meine Stimmung nicht versauen.“
Ein Satz wie ein Schutzschild. Klar, bestimmt, scheinbar weise – und doch: Er hallte in mir nach, nicht nur wegen seiner Entschlossenheit, sondern auch wegen seiner Kälte.
Er klang nach Selbstfürsorge, ja – nach der Summe einiger unschönen Erfahrungen. Aber auch nach Rückzug, nach innerem Abschalten, nach einem Ich, das lieber Mauern errichtet als Brücken baut.
Ja, psychische Gesundheit hat endlich ihren Platz im öffentlichen Bewusstsein gefunden und emotionale Abgrenzung ist verständlich – sie ist oft notwendig. Wer sich nicht schützt, geht unter. Doch wie jede Medizin birgt auch diese eine Überdosis: Wenn wir uns zu sehr schützen, nur auf uns fokussiert sind, verlieren wir den Zugang – nicht nur zu anderen, sondern auch zu uns selbst. Viktor Frankl sagt so treffend: „Nur das kranke Auge sieht sich selbst.“
Stellen wir uns folgende Szene vor: Eine Freundin sitzt vor dir, Tränen in den Augen, sie ringt um Worte. Wenn du dann innerlich sagst: „Das lasse ich nicht an mich ran“, was genau schützt du da? Deine Stimmung? Deinen Frieden? Oder vielleicht doch deine Angst, hilflos zu sein?
Das Leid des anderen wird dann nicht mehr als Einladung zum Mitfühlen gesehen, sondern als Störung, als Angriff auf das fragile Gleichgewicht des Ichs.
Traurigkeit, Zorn, Unsicherheit – sie werden zu Störgeräuschen in einem Leben, das nur noch Harmonie duldet. ABER: Wir alle erleben irgendwann mal Schmerz, Trauer und Leid. Wollen wir dann allein sein?
Das Leben ist keine Wohlfühlveranstaltung. Es ist roh, widersprüchlich, fordernd. Und echte Verbundenheit entsteht nicht dort, wo wir uns nur wohlfühlen – sondern dort, wo wir bleiben, obwohl es wehtut. Der Philosoph Martin Buber schrieb: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“
Wir erkennen uns selbst nicht im Rückzug, sondern in der Begegnung. Im Du, das uns widerspiegelt, herausfordert, manchmal verletzt – und genau dadurch wachsen lässt.
Wer sich permanent abschottet, verwechselt emotionale Hygiene mit emotionaler Sterilität.
Beziehungen werden dann zu Transaktionen: „Solange du meine Ruhe nicht störst, darfst du bleiben.“ Doch echte Nähe ist nicht störungsfrei. Sie ist lebendig, unordentlich, manchmal überfordernd – und gerade deshalb tief.
Natürlich: Niemand muss zum seelischen Mülleimer für andere werden. Selbstschutz ist kein Egoismus, sondern Überlebensstrategie. Aber wenn der Schutz zur Mauer wird, zur Immunisierung gegen alles Menschliche – dann wird es gefährlich. Für uns. Für unsere Beziehungen. Für das, was uns im Innersten zusammenhält.
Ihre Monika Matschnig
Expertin für Körpersprache, Wirkung und Performance
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